Aus der Bergheimer Zeitung vom 21.06.1928

Ich möchte an dieser Stelle mal einen Artikel wiedergeben, den unser damaliger Vorsitzende Josef Hindermann in der Bergheimer Zeitung vom 21.06.1928 geschrieben hat. Das Schachspiel wird in den höchsten Tönen gelobt; und das -wie ich finde- vor allem sehr lyrisch. Besser könnte man das heute auch nicht schreiben.

„Was ist das Schachspiel und warum spielen wir es?

Es liegt ein eigentümlicher Reiz in dem Schachspiel, weit mehr als in anderen Spielen und kann sich keines mit ihm, an Alter, Beliebtheit, Verbreitung und Tradition anbelangt, messen. Kein Spiel ist so fein durchdacht und hat so unbegrenzte Möglichkeiten wie eben das Schachspiel. Das Eigentümlichste liegt besonders darin, daß das Schachspiel von allem etwas hat uns sich einheitlich weder unter dem Begriff des Spiels, des Sports, der Wissenschaft noch der Kunst bringen läßt. Für ein bloßes Spiel ist es zu ernst, für den bloßen Sport zu wenig materiell, für die Kunst und mit dem gleichen Grundsatz für die Wissenschaft nicht vollendet genug.

Sehen wir doch, daß Leute ohne Vorbildung der höheren Schule es in kurzer Zeit zur Meisterschaft gebracht haben. Darin zeigt sich ebensogut das Talent, der göttliche Funke des Genies, das Charakteristische, das es von allen anderen Spielen unterscheidet. Es ist eine berechtigte Beschäftigung aller ernsten Männer und Frauen, denn alle Flüchtigkeit und Nachlässigkeit macht sich hier so recht bemerkbar und rächt sich. Eine allgemeine Ansicht der „Nichtschächer“ ist es, dem Schachspiel allen Wert abzusprechen, sie bezeichnen es als das Spiel der Kinder und können nicht begreifen, daß gereifte Personen sich stundenlang mit den Holzpuppen beschäftigen können. Wer erst einmal in daß Wesen des Spiels eingedrungen ist, den läßt es so leicht nicht mehr los, wie wenig es sich leidenschaftlich betreiben läßt, denn das führt zu Rückschlägen.

Mit Maß und Gefühl betrieben, läßt es immer reine geistige Freude aus und frei von allen Materiellem erhebt es in die Sphären des Schönen und Edlen was dem Menschen von heute als geistiges Erfrischungsbad besonders wohltut.

Erzieherisch trägt es bei Anspannung aller geistigen Kräfte zu kühnem Wagen, zur Vorsicht, zum Abfinden mit dem Unvermeidlichen, zu rastlosem, ausdauernden Streben nach eigener Vollkommenheit und Entsagung bei. So ist dieses für alle, die nach Vervollkommnung streben, das idealste Erziehungsmittel.

Es hebt das Sichverstehen, Sichnähern unter den Menschen, hier sitzt der Arbeiter dem Gelehrten, der Katholik, der Protestant dem Israelit, der Deutschnationale dem Demokraten gegenüber.

Deshalb möge jeder der seinen Geist nicht veröden, seine Grundlagen veredeln möchte, sich an das Schachbrett setzen, es gibt kaum einen besseren Zufluchtsort vor den Folgen der Arbeitsteilung, wenn anhaltende Gleichmäßigkeit, Abgestumpftheit und Unlust erweckt hat, ist diese notwendige Konzentration Erholung, ein Freistaat, eine Insel, die keine Brandung der täglichen Aufregungen und Sorgen hinaufgelangen läßt.

Also diese Ablenkung ist nicht mit einem noch so fesselendem Buche, noch mit etwas anderem zu vergleichen, daß ist es derentwegen das Schachspiel gesucht wird. Hdn.“